Herbstblond by Gottschalk Thomas

Herbstblond by Gottschalk Thomas

Autor:Gottschalk, Thomas [Gottschalk, Thomas]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2015-04-26T16:00:00+00:00


OLD MAN

Neil Young

Dass ich dunklen Gedanken konsequent aus dem Weg gehe, ist kein Geheimnis. Manchmal bin ich allerdings nicht schnell genug. Dazu kommt, dass die Nebel im Herbst schneller aufziehen als im Frühling. In letzter Zeit war ich häufiger als Grabredner unterwegs.

Mein erster Einsatz in dieser Tätigkeit, 1991, gehörte aber trotz des traurigen Anlasses eher in die Abteilung Comedy.

Ich hatte den Hinterbliebenen zugesagt, bei der Beerdigung von Roy Black die Traueransprache zu halten. Und zwar aus schlechtem Gewissen. Das Vorspiel war Folgendes: In meinen Anfängen als Journalist hatte es mich in die Freisinger Außenredaktion des Münchner Merkur verschlagen. Dort gab mir die Redaktion Theatertickets gratis, und ich musste dafür eine Kritik abliefern. Die zu Tschechows Möwe schrieb ich aus mehreren anderen zusammen, aber als Roy Black mit einer Art Musicaltheater in Freising aufschlug, war ich intellektuell Herr des Verfahrens.

Mitte der Siebziger hatte Black seine Karriere als Schlagerstar bereits hinter sich und seine Wiederauferstehung als Fernsehdirektor im Hotel am Wörthersee noch vor sich. Er muss sich also in einer Art beruflichen Fegefeuers befunden haben, wofür mir als Jungjournalist aber jedes Verständnis fehlte. In dem Musical spielte er den Helden einer zusammengestoppelten Lovestory, in deren Verlauf er nicht nur die Frau seines Lebens fand, sondern völlig unmotiviert auch noch »Ganz in Weiß« und »Du bist nicht allein« singen musste. Er tat das alles natürlich im weißen Anzug, und Thea sagte den verhängnisvollen Satz: »Der sieht viel besser aus, als ich dachte.« Das hat gereicht. Danach gab es für den armen Mann keine Chance mehr. Er hätte spielen können wie Laurence Olivier und dabei singen wie Luciano Pavarotti, mein Verriss stand wie in Stein gemeißelt. Immer wenn ich später das Opfer ähnlicher Wutattacken meiner TV-Kritiker wurde, tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass die Freundin des Rezensenten mich vermutlich toll fand.

Mit dieser Schuld im Herzen näherte ich mich also dem Augsburger Friedhof, um Roy Black wenigstens etwas Freundliches nachzurufen. Ich fuhr damals die Imitation eines Flügeltür-Mercedes und kam, passend zum Ereignis, »ganz in Weiß mit einem Blumenstrauß«. Der Gag dieses Fahrzeugs ist es, dass sich seine Türen wie Flügel nach oben öffnen. Der Nachteil von Beerdigungen Prominenter ist es allerdings, dass sich mit den trauernden Hinterbliebenen auch unzählige Fans einfinden, von denen nur die wenigsten still den sterblichen Überresten ihres Idols folgen wollen. Die meisten kommen, um zu sehen, ob sie vielleicht in Sargnähe einen lebenden Star treffen, zu dem sie überlaufen können. Ich war damals selber so was wie ein Popstar, und mein röhrender weißer Schlitten war weder ein Zeichen von Zurückhaltung noch ein Symbol stiller Trauer. Ich hatte mir das Auto ja nicht gekauft, um auf Beerdigungen zu fahren. Heute habe ich ein entsprechendes Portfolio in der Garage und wähle das Transportmittel nach Anlass.

Trotz des geschmacklosen Auftritts lotste man mich direkt vor die Aussegnungshalle, was zur Folge hatte, dass die Teenager zu kreischen begannen und sich als wogende Traube auf mein Auto stürzten. Dieser unwürdige Umstand wiederum machte es völlig unmöglich, die dämlichen Flügeltüren auch nur einen Spaltbreit zu öffnen. Sicherheitskräfte



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